Ein europäisches Fotoprojekt zur Coronakrise - 52 Fotografen/innen aus 48 Ländern zeigen Fotos aus allen europäischen Hauptstädten.

A European photo project on the Corona crisis - 52 photographers from 48 countries show photos from all European capitals.

 

Es war am 16. März, als unser Präsident Emmanuel Macron ab dem folgenden Tag den Lockdown in Frankreich verkündete. Ich musste mich entscheiden, ob ich mit meinen beiden Töchtern außerhalb von Paris in Quarantäne gehen oder weiter meiner Arbeit nachgehen wollte. Sollte ich eine gute Mutter oder eine Journalistin sein?

Nach einer schlaflosen Nacht beschloss ich, meine Töchter mit ihrem Vater gehen zu lassen. Ich begann meine Arbeit, indem ich ein gespenstisches Paris fotografierte – menschenleer. Schließlich reiste ich in den Osten des Landes, dorthin, wo Frankreich sehr stark von dem Virus betroffen war. Das war sehr aufreibend. Die einzigen Geräusche in den leeren Straßen verursachten die Notfallsirenen und die Hubschrauber, die die Patienten evakuierten. Ich verbrachte viel Zeit mit den Leichenbestattern und wurde Zeugin einiger Beerdigungen. Es war eine todernste Situation!

Ich vermisste meine Töchter, auf meinem Telefon konnte ich nur ihre verpixelten Fotos sehen. Ich fühlte mich schuldig, weil ich in dieser außergewöhnlichen Zeit nicht bei ihnen war. Aber ich wollte sie nicht treffen, bevor ich nicht absolut sicher war, dass ich mich in dieser Zeit nicht mit dem Virus angesteckt hatte. Nach fünf Wochen schließlich war es an der Zeit: ich entschied mich, nun bei ihnen sein zu wollen.

Nach dem Ende des Lockdowns gelang es mir dann, über die Corona-Krise in Brasilien zu berichten. Ich hatte fast vergessen, wie viel einfacher es ist, anderswo zu arbeiten als in Frankreich. Wie schwierig, manchmal gar unangenehm sich die Arbeit in Frankreich gestaltete, wurde mir nun klar. Die Franzosen sind den Massenmedien gegenüber generell sehr misstrauisch, oftmals werden die Medien als die Schuldigen allen Übels abgestempelt. Die öffentlichen Einrichtungen verwechseln Journalismus und Kommunikation. Staatliche Krankenhäuser gewährten uns Journalisten keinen Einlass. So war sichergestellt, dass deren Image gewahrt blieb. Manchmal hatte ein offizieller, von der Stadt ernannter Fotograf das Privileg, Fotos zu machen, die anschließend an die Presse weitergeleitet wurden. Lediglich die Bestattungsinstitute sowie tieftrauernde Familien, die den Schmerz und das Leid zeigen und teilen wollten, öffneten sich und ihre Türen und ließen Einblick gewähren in ihre Traurigkeit.

Die Situation in Brasilien war ein absoluter Alptraum. Aus Angst, geächtet zu werden, trauten sich infizierte Menschen nicht, sich zu outen. Kranksein wurde als Schuld empfunden! Aber dort zu arbeiten, war großartig. Die Menschen waren gastfreundlich, sehr hilfsbereit und versuchten in keiner Weise, uns zu kontrollieren.

Seit ich für meine Arbeit vor allem nach Afghanistan reise und das Reisen inzwischen so kompliziert geworden ist, spüre ich, wie das unser aller Leben beeinflussen wird ...

The 16th of March, our president Emmanuel Macron announced that we would be in lockdown the following day. My option was either to leave Paris or to be quarantined together with my 2 daughters or to do my job as usual. Should I be a good mother or a journalist? 

After a sleepless night, I decided to let my daughters leave with their dad. The streets of Paris were depopulated, so I started taking photos of that ghostly city. Subsequently, I went to the East of France, which was seriously hit by the virus back then. It was very stressful. In the abandoned streets, emergency sirens and the helicopters evacuating patients were the only sounds to be heard. I spent a lot of time with the local undertakers and witnessed some funerals, too. Everybody felt the situation was dead serious.

I was missing my daughters. My phone was only displaying pixelated versions of them. I was feeling guilty not being with them in these extraordinary times. However, since I was exposing myself, I didn't want to see them unless I was sure I had not contracted the virus. Finally, after 5 weeks, I decided it was time for me to be with them.

Then, after the end of the lockdown, I managed to cover the coronavirus crisis in Brazil. I had almost forgotten how much easier it is to work abroad. Now, I could clearly see how difficult and sometimes also unpleasant it was to work in France. Generally, the French people do not trust in the mass media; quite often, the media are accused of being the culprits of all evil. Public institutions show a strong tendency to mix up journalism with communication. Public hospitals did not grant us access. By doing so, they made sure that their image remained unharmed. From time to time, an official, i.e. appointed by the city, photographer was given the privilege to shoot photos which were forwarded to the press subsequently. Only the funeral homes as well as the mourning families, who were willing to show and share their pain, opened up both their hearts and their doors. We saw how sad they were. 

In Brazil, it was an absolute nightmare. Infected people refused to admit their infections, they were too scared, they did not want to be ostracized. Being sick was considered as guilt! However, working there was great. People were very welcoming and helpful. Nobody ever tried to control us. 

Since I mainly travel to Afghanistan to work there and traveling has become so complicated in the meantime, I feel that it will affect our lives to a large extent…



Veronique de Viguerie, 14.09.2020

Veronique de Viguerie

Web: veroniquedeviguerie.com