Ein europäisches Fotoprojekt zur Coronakrise - 52 Fotografen/innen aus 48 Ländern zeigen Fotos aus allen europäischen Hauptstädten.

A European photo project on the Corona crisis - 52 photographers from 48 countries show photos from all European capitals.

 

Still Amsterdam

Seit zehn Jahren wohne ich nun schon im wunderschönen Amsterdam. Als Reportage-Fotografin empfand ich es als meine Aufgabe, die Auswirkungen der Pandemie und der durch sie bedingten Restriktionen auf unser Leben festzuhalten. Vor Covid war Amsterdam - nicht nur in meinen Augen - definitiv zu touristisch. Das änderte sich nun drastisch! Ebenso wie das Verhalten seiner Einwohner in dieser absurden, neuen Leere.

Amsterdam ist ein beliebtes Ziel für einen Städte-Trip. Unsere Stadt ist aber auch bekannt für unzählige Events, wie klassische Konzerte auf Flößen in den Grachten oder die jährlich stattfindende Gay-Pride, die in der gesamten Stadt zelebriert wird und deren Höhepunkt eine einzigartige Boots-Parade ist. Die berühmte „Gezelligheid“ kann man nicht nur am Königstag in den Straßen erleben.

Beim ersten Lockdown im März 2020 schnappte ich mir meine Kamera und mein Fahrrad und machte mich auf, um einzufangen, wie wir Bewohner einer üblicherweise hektischen Stadt mit der neuen Leere umgehen. Der „Tod“ (Bild 1), wie er, abgesehen von einer weiteren Straßen-Künstlerin, ohne irgendein Publikum vor dem Königspalast auf dem Dam „business as ususal“ macht (für Fotos posieren), ist für mich ein perfektes Abbild dieser Situation.

Auch der traditionelle Fischverkäufer (Bild 2), der jeden Tag auf dem Albert-Cuyp Markt Touristen und Einheimischen seinen berühmten holländischen Hering anbietet, ist ein typisches Bild für mich. Im Gespräch mit ihm erfuhr ich, dass er an jenem Tag noch gar nichts verkauft hatte und völlig überfordert mit der Lage war. Es tat mir im Herzen weh!

Als ich durch den Rotlichtbezirk mit all den roten Vorhängen, geschlossen, fuhr, musste ich bei der FEBO Bar anhalten (Bild 3). FEBO hat eigentlich immer geöffnet. Es steht für „irgendwie eklige, aber auch überraschend leckere frittierte Snacks“, die man direkt „aus der Mauer“ kaufen kann. Oft sind sie ein „Lebensretter“ nach einer viel zu langen Partynacht…

Auf Bild 4 blockieren die gestapelten Stühle den berühmten Blick auf eine der schönsten Grachten-Ansichten der Stadt. Auch den Hauptbahnhof (Bild 5), im Speziellen hier den Fahrradweg, völlig vereinsamt zu sehen, lies mich ratlos zurück.

Amsterdam ist eine Kulturstadt. Mehr als 50 Museen und eines der besten Orchester der Welt ziehen sowohl Einheimische als auch Touristen aus der ganzen Welt an. Im Reichsmuseum (Bild 6) trifft van Gogh auf Rembrandt. Auf dem Museumsplatz hängt Banksy neben dem Konzertgebäude, und „das Rijks“ thront über der gesamten Szenerie und den sonst zahlreichen Touristen, die sich am Wasserbecken davor ausruhen.

Der Strauß aus Trockenblumen steht für die sterbende Blumenindustrie, die besonders zu Beginn der Pandemie enorm gelitten hat. Mit Tulpen, Tulpenzwiebeln und Blumen erwirtschaften die Niederlande mit einem Umsatzvolumen von 12 Mrd. Euro rund 35 % des weltweiten Exportvolumens in diesem Segment. Aufgrund der Restriktionen mussten damals mehr als die Hälfte aller Blumen in der weltgrößten Blumenbörse in Aalsmeer vernichtet werden.

Der „Museumsplein“ vor dem Reichsmuseum ist inzwischen zu einem Ort der Widersprüche geworden. Er erlangte 2021 durch Polizeigewalt gegen Demonstranten weltweit traurige Berühmtheit.

Wir Einwohner Amsterdams haben in dieser Zeit der Pandemie-Beschränkungen gelernt, die Touristen zu vermissen. Andererseits war es eine großartige Erfahrung, manche Teile der Stadt zurückzuerobern und in einem anderen Licht neu zu entdecken. Ich hoffe sehr, dass es uns in Zukunft besser gelingt, das Verhältnis zwischen Touristen und Einheimischen in unserer Stadt so zu steuern, dass sich die Situation für alle verträglicher gestaltet, als es vor der Pandemie der Fall war.


Antonie Glaser, Amsterdam 2021

Still Amsterdam

The lively city of Amsterdam has been my home for ten years already. As a reportage photographer I felt the urge to capture the impact the pandemic and its restrictions had on our lives. Amsterdam, which had been a city crowded with tourists before Covid, has drastically changed. This also led to a radical behavioural change of the locals in this absurd, new emptiness.

Amsterdam is not only known as a weekend destination, we are also annually hosting amazing events like the classical concerts on floods on the canals or the Gay Pride, celebrated all over the city and with an awesome boat parade. Not only during King’s Day everyone is living the typical Dutch “gezelligheid” in the streets.

When the first lockdown in March happened, I grabbed my camera and my bike and wanted to capture how we, as the inhabitants of a usually busy city, manage the new emptiness. Observing “the death” on dam square (picture 1), still doing his “business as usual” (posing for pictures) without any audience but one other street artist around, was totally absurd and for me resembled the whole situation in a perfect picture.

Or the traditional fisherman (picture 2), who stands on the Albert-Cuyp market every day selling his famous Dutch herring to tourists as well as locals: I chatted with him for a while. He had not sold a single fish the entire day and did not really know how to deal with the situation at all. It broke my heart and still does when I look at the photo.

When I was cycling through the red-light district, with the red curtains all closed, I stopped to take a photo of the FEBO snack bar (picture 3). I had never seen it closed. FEBO is famous for their super-gross but surprisingly tasty fried snacks that you can directly buy “out of the wall”. Often a life saver after a far too long party…

The stacked chairs (picture 4) are blocking one of the most famous and beautiful canal views we have. And seeing Central Station, in particular the bike lane in front of it (picture 5), so empty, left me puzzled.

Amsterdam is a city of culture. More than 50 museums and one of the best orchestras in the world attract locals as well as tourists from all over the world. In the Rijksmuseum (picture 6) van Gogh meets Rembrandt. At Museum Square Banksy hangs next to the Concertgebouw, the Rijks overlooks everything and lots of tourists usually rest at the pool.

The dried flower bouquet symbolized the dying flower industry which was heavily impacted in those days. Tulips and other bulb flowers add up to an annual export value of 12 billion euros in the Netherlands, which represents 35% of the worldwide export in this sector. Due to restrictions more than 50% of the flowers were destroyed on the words biggest flower auction in Aalsmeer, close to Schiphol.

The “museumplein” in front of the Rijksmuseum unfortunately gained worldwide fame in the news because of police violence against protesters in 2021. A site of contradiction.

We, the inhabitants of Amsterdam, certainly learned to miss tourists. But it was also a great time to get back parts of the city and see them in a totally different light. I really hope that we will manage to turn the flood of tourism towards a healthier balance than before the pandemic.