Ein europäisches Fotoprojekt zur Coronakrise - 52 Fotografen/innen aus 48 Ländern zeigen Fotos aus allen europäischen Hauptstädten.

A European photo project on the Corona crisis - 52 photographers from 48 countries show photos from all European capitals.

 

Als ich die Einladung zur Teilnahme am "Lockdown Europe"-Projekt in meinem E-Mail-Postfach fand, war ich sehr aufgeregt. Teil eines multinationalen Teams von Fotografen zu sein, die alle europäischen Staaten vertreten, ist sowohl eine Ehre als auch eine Verantwortung für mich.
Obwohl das Ziel klar umrissen war, war jeder von uns völlig frei in der Interpretation und bei der fotografischen Umsetzung des Themas, das Leben während des Covid-19-Lockdowns zu zeigen.

In Anbetracht der auf sechs Fotografien begrenzten Anzahl, die pro Teilnehmer*in eingereicht werden können, waren Motivwahl und Umsetzung eine ziemliche Herausforderung für mich. Ich bin in Kiew geboren, und ich habe mehr als ein halbes Jahrhundert hier verbracht. Ich kenne die Stadt sehr gut, und ich konnte ihr Wachstum und ihre Entwicklung über Jahre hinweg beobachten. Fast jeder Aspekt des gesellschaftlichen Lebens in Kiew ist von der momentanen Krise betroffen, es gäbe also endlos viele Möglichkeiten, die Folgen zu zeigen.

Wie sollte ich nun also vorgehen, um die Auswirkungen des Lockdowns auf unser Leben zu darzustellen? Es fiel mir schwer, diese Frage zu beantworten. Nach vielen Stunden des Nachdenkens entschied ich mich schließlich für eine Fotoserie, die die bekanntesten, in der Regel überfüllten und bei Einheimischen wie Touristen beliebten Orte zeigt.

Der erste Tag, an dem ich mich zum Fotografieren aufmachte, war der 26. April, ein sonniger und warmer Frühlings-Sonntag, der normalerweise Tausende von Menschen auf die Straßen, in die Parks und Gärten lockt. Ich wusste zwar, dass die meisten Menschen zu Hause bleiben und nur kurze Spaziergänge zu den nahe gelegenen Lebensmittelgeschäften machen würden. Dennoch war der Anblick der leeren Straßen im Zentrum Kiews schockierend. Unsere Hauptstraße, die "Hreschatyk", an normalen Sonntagen von Menschenmassen bevölkert, war wie ausgestorben.

Als Architektur-/Innenarchitekturfotograf wurde mir bewusst, welch einzigartige Chance wir jetzt haben: Wir können eine Stadt auf eine Weise fotografieren, wie es zuvor nie möglich war. Straßen und Gebäude haben plötzlich ein neues Gesicht, das sich nicht hinter Menschenmassen und Autos versteckt. Die Tatsache, dass Bahnhöfe und Flughäfen stillgelegt wurden, und andere öffentliche Verkehrsmittel nur noch nach einem reduzierten Fahrplan verkehren, hat eine neue Dimension im städtischen Leben geschaffen.

Einkaufs- und Geschäftszentren, Kinos, Museen, Schulen und Universitäten – alle öffentlichen Einrichtungen wurden geschlossen, momentan findet dort kein Leben mehr statt. Eine meiner Aufnahmen zeigt den "Ukraine"-Kulturpalast von außen, ein architektonisch schlichtes und schönes Gebäude, das 1965 bis 1970 errichtet wurde. Seine Fassade ist seit jeher mit dutzenden Werbeplakaten von Musikern, Konzerten und Aufführungen bedeckt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich diese Fassade jemals zuvor so sauber und schön gesehen habe. Abgesehen davon waren mitten an diesem Arbeitstag keine Menschen auf der Straße, und kein Auto fuhr vorüber. So gelang es mir, einen außergewöhnlichen Moment einzufangen.

Um das ganze Ausmaß des Lockdowns in Kiew zu zeigen, beschloss ich, den Hauptbahnhof und den Flughafen Boryspil zu fotografieren – zwei wichtige Verkehrsknotenpunkte und die Orte mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in der Stadt. Ich beantragte Fotografie-Genehmigungen, die mir Dank der Unterstützung der jeweiligen PR-Abteilungen bewilligt wurden. So konnte ich einzigartige Innenaufnahmen der Bahnhofs- und Flughafen-Hallen machen, ohne eine einzige Person im Bild. Möglicherweise war dies die einmalige Chance, solche Fotos zu machen!

In der Ukraine leiden viele Menschen unter der Abriegelung; sie können nicht arbeiten, verdienen kein Geld, und die staatliche Unterstützung ist sehr begrenzt. Es ist eine schwierige Zeit für die Wirtschaft, für Unternehmen und auch für Familien. Auf der anderen Seite hält diese Zeit auch Möglichkeiten bereit. Es hängt von uns alleine ab, ob wir gestärkt, flexibler, kompetenter und kraftvoller aus dieser Zeit hervorgehen werden. Ich bin froh, dass ich die Chance bekommen habe, an diesem Projekt teilzunehmen und dass ich so einen bescheidenen Beitrag leisten kann, um die Geschichte der globalen Gemeinschaft in Zeiten des Covid-19-Lockdowns festzuhalten.

I was excited the moment an invitation to participate in the “Lockdown Europe” project dropped in my e-mail box. Being part of multinational team of photographers representing all European countries, is both an honor and responsibility.
While overall goal of the project was clear, each of us had full freedom in how to interpret the topic and to find own approach to show life of the city and the country during Covid-19 lockdown.

Taking into account limited number (6) of images we had to deliver, it was quite a challenge to decide what and how to photograph. I was born in Kyiv, and have spent over half a century here. I know city pretty well, and saw its growth and development over years. Today, as almost every aspect of social life in Kyiv city was affected by the lockdown, the variations to showcase were endless.

What should be the best approach to show impact of lockdown to our lives? It was difficult question for me to answer. After many hours of thinking, I finally decided to make series of photographs which will show up the most popular, crowded places famous among locals and tourists.

My first day of the shoot was Sunday (April 26th), sunny and warm spring day, which usually attracts thousands of people to the streets, parks and gardens. I knew beforehand that majority of people stay home, making only shorty walks to the nearby food shops. But nevertheless, the view of empty streets of the Kyiv’s center was shocking. “Hreschatyk", main street of the capital, which on Sundays usually if full of people, was completely empty.

Being an architectural and interior photographer, I realized, what unique chance we have now – making pictures of the city in the way not possible ever before. Streets and buildings suddenly found their new face – not obscured by crowds and cars. As metro lines, trains and aero ports are ‘frozen’ and other public transport works on its minimum schedule (only for selective ‘critical’ workers), it brings new dimension for the urban life.

Shopping and business centers, cinemas, museums, schools and universities – all public places are closed, there is no life there. One of my shots shows exterior of “Ukraine” Palace of Culture, pure, clean architectural view of the nice building erected in 1965-1970. Its facade has always been covered with dozens of posters and advertisings of musicians, concerts and performances. I don’t remember if I saw it such clean and beautiful anytime before. Apart from clean facade, it were no people on the street (it was middle of the working day) and I managed to catch a moment when no cars appeared as well. Really decisive moment!

To add more scale to the story of Kyiv during Covid-19 lockdown, I decided to photograph Central Railway Station and Boryspil airport – important transportation hubs and places of the highest traffic in the city. To accomplish this, I had to apply to permissions for the shoot. Thanks to support from PR departments of both of them, I've got green light and made unique photographs of the interiors – with no single person inside their large halls. I realize now, that it might be the once-in-life chance to make such a photo!

In Ukraine many people are suffering from lockdown, being not able to work and earn money, and support from the government is very limited. It is a difficult time for economy, for businesses and for families as well. On the other hand, it is time of opportunities. Opportunities to become more stronger, more flexible, more competent and powerful. It all depends on us. I am glad that the life gave me chance to take part in this project and make modest contribution to the story of global community in the time of Covid-19 lockdown.

Sergiy Kadulin, 05.05.2020

Sergiy Kadulin

Web: sergiykadulin.com